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»(KORR-Bericht - 1530)
Steinmeier in JVA: Dürfen diesen Teil der Realität nicht ausblenden
Von Iris Leithold, dpa=

Reiten, Wein anbauen, Kaninchen züchten - junge Strafgefangene können
kaum einen besseren Ort für die Verbüßung ihrer Haftstrafe finden als
die JVA Neustrelitz. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist
beeindruckt.

Neustrelitz (dpa/mv) - Wären nicht die sechs Meter hohe
Grundstücksmauer mit den Stacheldrahtschlingen auf der Krone und die
Gitter vor den Fenstern der zweistöckigen Wohnhäuser - man könnte das
Gelände der Justizvollzugsanstalt Neustrelitz (Landkreis
Mecklenburgische Seenplatte) für ein Schullandheim halten. Eine
verglaste Mensa, Hallen für die Berufsausbildung, ein Gewächshaus mit
Tomaten, ein Gemüsegarten, Blumenbeete und Teiche finden sich auf dem
16 Hektar großen Gelände im Wald. Es gibt eine Tierfarm, einen
Fußballplatz, eine Sporthalle und sogar einen kleinen Weinberg, aus
dessen Trauben «Halbtrockener Regent» und «Strelitzer Hügeltropfen»
gekeltert werden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die
JVA, in der jugendliche und junge erwachsene Straftäter bis zum Alter
von 30 Jahren untergebracht sind, am Donnerstag besucht und sie als
eine Anstalt mit Vorbildcharakter in Deutschland gelobt.

Von den bundesweit mehr als 50 000 Strafgefangenen dürften in der Tat
die wenigsten ein so angenehmes Umfeld für die Verbüßung ihrer
Haftstrafe vorfinden wie die derzeit rund 185 Insassen der JVA
Neustrelitz. Für sie stehen 128 Mitarbeiter bereit, denn die Strafe
soll von Bildung und Ausbildung begleitet sein - in der Hoffnung auf
ein straffreies Leben nach der Entlassung.

So dient die Kaninchenzucht - die JVA hat in den vergangenen vier
Jahren den Europameister in der Rasse «Helle Großsilber»
hervorgebracht und viele weitere Preise eingeheimst - in erster Linie
sozialtherapeutischen Zwecken. «Wenn so ein Zwei-Meter-Hüne ein
Kaninchen auf den Arm nimmt und streichelt, das macht was mit dem»,
sagt der stellvertretende Abteilungsleiter für den Strafvollzug im
Schweriner Justizministerium, Stephan Hagemann.

Die Gefangenen züchten Ziegen, Schafe, Schweine. Auf zwei
Haflinger-Pferden können sie reiten lernen. «Man kann hier den
Reiter-Pass erwerben», sagt der zuständige Mitarbeiter. Muss das
sein? «Das ist eine gute Voraussetzung, nach der Haft auf einem der
vielen Pferdehöfe im Land anzufangen.» Auch Hagemann verteidigt die
Angebote und damit verbundenen Ausgaben. «Jeder Euro, der in die
Chance investiert wird, Strafgefangene auf den richtigen Weg zu
bringen, ist gut investiert.» Er schätzt die Rückfallquote der
Insassen im Jugendstrafvollzug auf etwa 25 Prozent. Das hieße, drei
Viertel schaffen es draußen.

Steinmeier sieht das ähnlich. «Eine Justizvollzugsanstalt ist
vielleicht kein ganz gewöhnlicher Ort für den Besuch eines
Bundespräsidenten», sagte er. «Aber Straftaten, Straftäter, Haft und
auch die Rückkehr von Menschen nach der Haft in eine Gesellschaft ist
Teil einer gesellschaftlichen Realität, die wir nicht ausblenden
dürfen.» Er lobte die engagierte Arbeit der Bediensteten und die
umfangreichen Ausbildungsangebote. Den Insassen stehen
Ausbildungsmöglichkeiten von Malerhandwerk bis zur Gastronomie offen.
Viele absolvieren ein berufsvorbereitendes Jahr, mit dem sie zugleich
den Hauptschulabschluss bekommen.

«Es wird hier gearbeitet nach dem Erfahrungsgrundsatz, Strafe allein
ändert noch nichts, wenn sie nicht begleitet wird mit Angeboten, die
auf ein Leben nach der Haft vorbereiten», würdigte Steinmeier. Die
JVA bereite die Jugendlichen außerdem schon weit vor dem absehbaren
Entlassungstermin auf die Freiheit vor: In welches soziale Umfeld
gehen sie? Gibt es berufliche Entwicklungsmöglichkeiten? Gibt es
Wohnmöglichkeiten? Und dann rückt er noch den Schullandheim-Eindruck
ein bisschen gerade: «Wir wissen, es ist für viele Gefangene, mit
denen wir gesprochen haben, eine ganz harte Arbeit an sich selbst,
die sie hier verrichten müssen in Vorbereitung darauf, wieder in die
Gesellschaft zurückzukehren und dort straffrei zu leben.»

Mecklenburg-Vorpommerns Justizministerin Katy Hoffmeister (CDU) setzt
hinzu, die jungen Leute sollten ihr Leben nach der Haft selbst in die
Hand nehmen können. «Das ist zwar nicht immer einfach, aber niemals
hoffnungslos.»